Kapitel 1

Auszug aus Kapitel 10




Kapitel 1

Ein richtig mieser Tag

Es war einer von diesen Tagen, an denen alles schief geht. Jan Ellers hatte einen schweren Klumpen im Magen, als er sich seine Tasche griff und zum Raum ging, in dem sie Physik hatten. Bei Herr Johanson, besser bekannt als "Brilli". Er hatte ihnen schon angekündigt, dass er ihnen heute die Arbeit zurückgeben würde. Natürlich war er schon da, sass wie ein dicker, bösartiger Ochsenfrosch mit dunkler Hornbrille vorne und blätterte in irgendwelchen Arbeitsblättern. Neben ihm der Stapel Klausuren. Ausgerechnet, als Jan vorbeiging, blickte er auf. Schnell flüchtete sich Jan an seinen Platz.
Jan fühlte ein unangenehmes Prickeln im Nacken, als seine Physikarbeit vor ihm auf den Tisch lag.
Vorsichtig liess er den Blick über das Blatt wandern. Oben stand fett in rot: 2 Punkte. O nein.
Das durfte einfach nicht wahr sein! Er hatte zwar schon beim Abgeben gewusst, dass es nicht gut gelaufen war. Aber so schlecht war er noch nie gewesen. Jan musste die Tränen zurückhalten.
Plötzlich stand Brilli neben ihm. "Jetzt mal ehrlich, mir ist schleierhaft, wie du in den Leistungskurs kommen konntest, Jan. 2 Punkte, das entspricht der Note 5!" "Eigentlich interessiere ich mich für Physik", sagte Jan. Er hasste dieses Jetzt mal ehrlich, er hasste diesen kalten Blick. "Daheim habe ich..." "Jan, was du daheim machst, interessiert mich nicht. Was mich interessiert, sind Ergebnisse.
Das heisst: In Zukunft Grundkurs, junger Mann." Endlich kehrte Brilli wieder an die Tafel zurück.
"Was hast du bekommen?" flüsterte Miri, seine Zwillingsschwester, zu ihm herüber. Sie sass mit ihrer besten Freundin Heike eine Bank weiter. Er hob sein Blatt, und sie sah, was darauf gekritzelt war. "Oh." Kevin, der schräg vor ihnen sass, hatte es mitbekommen und grinste. Sein Blick sagte: Na, mal wieder voll danebengehauen? Schnell liess Jan die Arbeit in seiner Tasche verschwinden und blickte auf die Tischplatte. Wieso war das Leben eigentlich so unfair? Wieso konnte dieser Unsympath aussehen wie Tom Cruise in Blond und dann nicht nur der Star der Basketballmannschaft sein, sondern auch noch ein Mathe-As?
Bis endlich der Pausengong durchs Gebäude hallte, schien es ewig zu dauern. Jan hatte es eilig, rauszukommen. Doch er hatte Pech: Direkt vor ihm stand Kevin mit ein paar seiner Freunde im Gang.
Ein Grüppchen in hippen Klamotten. Auch ein paar Mädchen waren dabei und himmelten die Jungs an.
Jan versuchte sich an ihnen vorbeizudrücken, doch Kevin hatte ihn schon gesehen. "Du hast nur zwei Punkte? Das ist ja krass. Mann, raffst du das wirklich nicht? Ist doch voll leicht!" "Aber nicht, wenn man nix in der Birne hat", schob einer seiner Freunde nach.
In diesem Moment brannte bei Jan eine Sicherung durch. "Ich hab verdammt nochmal genausoviele graue Zellen wie ihr! 100 Milliarden Nervenzellen, wenn ihr's genau wissen wollt!" "Ach ja?" Kevins Grinsen wurde noch breiter. "Ganz sicher?" "Ihr werdet schon sehen, nächstes Mal kriege ich mindestens dreizehn Punkte!" entfuhr es Jan.
Das Rudel wieherte los. Jan hätte sich treten können. Wieso in aller Welt hatte er so einen Mist gesagt?
"Heeeyyyy... und das sollen wir glauben?" Kevin schüttelte den Kopf. "Was wettest du darauf?
Vielleicht deinen Computer? Könnt ich ganz gut gebrauchen." Meinen Computer! Es durchzuckte Jan, als wäre er auf einen Reissnagel getreten. Seinen Computer, den er sich durch mühsam durch Englisch-Nachhilfe bei begriffsstutzigen Achtklässlern zusammengespart hatte. An dem er so viele Nachmittage und Abende verbrachte.
"Oder willst du lieber kneifen?" fragte Kevin freundlich. Scheiss-freundlich.
Jan wurde klar, dass das nicht in Frage kam. Sonst brauchte er sich in dieser Schule nicht mehr blicken lassen. Sowas sprach sich blitzschnell herum. Und er wurde jetzt schon selten zu Partys eingeladen, weil er mit kaum jemand in seiner Klasse richtig befreundet war.
Jan straffte die Schultern. "Nein. Ich kneife nicht." "Also dann: Die Wette gilt." Plötzlich war Miri an seiner Seite und blitzte Kevin kampflustig an. "Mein Bruder hat es nicht nötig, sich von einer Dumpfbacke wie dir blöd anmachen zu lassen. Adios!"



Sie zog ihn in eine stille Ecke hinter dem Schulkiosk. Erst, als niemand sie mehr belauschen konnte, sagte sie: "Shit, wieso hast du denn das gesagt? Der Typ bringt es fertig und nimmt dich beim Wort!" "Ich weiss auch nicht", sagte Jan. "Irgendwie war ich... ich bin einfach wütend geworden. Und dann ist es mir rausgerutscht." Miri legte ihm eine Hand auf den Arm. "Lass dich nicht unterkriegen." "Du hast gut reden", meinte Jan bitter. Jeder mochte Miri. Sie hatte fast nur Supernoten, und in Physik und Mathe schaffte sie immerhin 8 bis 9 Punkte. Ausserdem war sie mit ihren dunklen Haaren und grünen Augen richtig hübsch. Obwohl sie sich fast nie aufdonnerte. Meist trug sie einfach ihre Wildlederjacke, ein T-Shirt und Jeans.
"Papa wird sich schon nicht so drüber aufregen", versuchte Miri ihn zu trösten. "Vielleicht besorgt er dir einen Nachhilfelehrer. Aber das ist doch nicht so schlimm. In den anderen Fächern bist du ja gut." "Vielleicht habe ich wirklich einen Knoten im Gehirn - da, wo eigentlich die Physik hingehört", sagte Jan niedergeschlagen.
"Quatsch! Das liegt nur an diesem bescheuerten Brilli. Er kann einfach nicht erklären. Wieso darf so ein Typ überhaupt Lehrer werden? Den hasst doch jeder." "Kann ja sein. Aber ich werde ihn, wenn ich Pech habe, noch ein paar Jahre geniessen dürfen. Er unterrichtet ja auch viele Grundkurse." Als sie heimkamen, war ihre Mutter nicht da. Sie arbeitete in einer Kanzlei und war erst gegen fünf wieder zu Hause.
"Sagst du's ihnen? Das mit der Arbeit?" fragte Miri und spielte mit dem schwarz-weissen Stein, der an einer Lederschnur um ihren Hals hing. Sie hatte ihn im letzten Urlaub in Spanien gefunden, als sie mal wieder mit Rucksack und Zelt unterwegs gewesen war.
"Nee. Ausser sie fragen mich." Jan verschwand in sein Zimmer. Er konnte sicher sein, dass ihn Miri niemals verpetzen würde. Schon allein deshalb, weil er wusste, dass sie bei ihren Trips durch Europa oft per Anhalter fuhr, obwohl die Eltern das verboten hatten.
Er hatte seine Zimmertür mit einer Lichtschranke und einem Zähler verbunden. Das rote Display informierte ihn, dass er in diesem Monat der zweihunderteinundfünfzigste Besucher war. Genervt warf sich Jan auf sein Bett und schaute hoch zu der Zeichnung, die ihn Arm in Arm mit John Lennon, Indiana Jones und dem Alien-Monster zeigte. Er hatte sie letztes Jahr gemacht und an seine Zimmerdecke geklebt.
Es ärgerte ihn immer mehr, dass Lennons Gesicht nicht so gut gelungen war. Vielleicht sollte er das Ding mal abnehmen. Aber das Monster gefiel ihm immer noch.
Wenn er den Blick nach links schweifen liess, sah er, dass seine Modelle berühmter Gebäude oben auf seinem Kleiderschrank allmählich Staub ansetzen. Er hatte sie vor ein paar Jahren gebaut, mit seinem Vater zusammen. Der hatte schon immer Architekt werden wollen und dann doch Betriebswirtschaft studiert, weil man damit angeblich garantiert einen Job fand. Jan hatte auch lange Architekt oder Stadtplaner werden wollen. Zur Zeit war er sich nicht so sicher.
Jan schaltete seinen Computer an. Jetzt ein bisschen SimCity spielen, sich ein paar Stunden darin versenken. E-Mails beantworten vielleicht. Nicht über die Schule nachdenken müssen. Er legte eine seiner Pink-Floyd-CDs ein und startete das Programm. Ausser ihm hörte in der ganzen Schule niemand Pink Floyd. Aber er war sowieso nicht hip, da kam es auch nicht mehr drauf an, ob er die richtige Musik hörte oder nicht.
Irgendwann schaute sein Vater zur Tür hinein, noch in Hemd und Krawatte, so wie er von der Arbeit gekommen war. Der elektronische Zähler klickte eine Stelle weiter. "Na, wieder ein paar neue Bauwerke hingestellt?" "Ja, klar", sagte Jan und blickte gleich wieder auf den Bildschirm. Nur jetzt mit niemandem reden müssen. Er musste diese blöde Wette einfach gewinnen. Alles andere war eine Katastrophe. Keine E-Mails mehr? Kein SimCity? Kein Mitdiskutieren in der Terry-Pratchett-Newsgroup? Das kam gar nicht in Frage!
Eigentlich konnte nur noch ein Wunder ihn retten. Aber so etwas gab es nicht. Oder?

Es wäre wirklich ein Wunder, wenn dieses Ding endlich mal funktioniert, wie es soll, dachte Andy Zero erbittert. Wie konnte ich nur sowas konstruieren?
Mit seinen 24 Jahren war Andy der jüngste Captain der United Galaxy Alliance-Flotte, und er gab sich Mühe, seiner Rolle angemessen mit Würde aufzutreten. Nur war das nicht ganz leicht, wenn man kopfüber über der Aussenhülle seines Schiffs hing und versuchte, etwas an einem Tachyonentriebwerk zu reparieren. Das Haar hing ihm über das Gesicht, er schwitzte und sein Overall hatte eben einen neuen Fleck abbekommen. Zu allem überfluss war ihm gerade auch noch der Magnetfeldschraubenzieher aus der Hand gefallen und irgendwo in den Tiefen des Maschinenraums verschwunden.
"Na, mal wieder Problemchen mit Ihrer Mühle?" Andy erkannte die Stimme sofort. Professor Dillitzer! Andy fluchte innerlich und versuchte, sich aufzurichten und über den Rand der Rumpfes zu spähen. Johannes Dillitzer blickte mit einem schadenfrohen Lächeln zu ihm hoch. Wie immer war er makellos gekleidet, diesmal in einem anscheinend nagelneuen Anzug aus blauer arkturianischer Seide. Und wie immer sah er aus, als hätte er den Kopf eben erst in die Frisiermaschine gesteckt.
"Nicht mehr Probleme als Sie mit Ihrer", sagte Andy und versuchte genauso hochmütig zu klingen.
Was nicht besonders gut glückte. "Und, sind Sie schon weitergekommen? Sie wissen schon, mit der Formel?" Das sass. Mürrisch blickte Dillitzer ihn an.
Andy und Dillitzer hassten sich schon seit Jahren heiss und innig. Dillitzer forschte mit seinem Team auf dem gleichen Gebiet, doch irgendwie schaffte er es im Gegensatz zu Andy immer, reichlich Gelder dafür bewilligt zu bekommen. Ständig war er im galaxy.wide.web zu sehen, wo er mit wichtigem Gesichtsausdruck über wissenschaftlichen Fortschritt referierte. Sein grösstes Ziel war, die Weltformel zu finden. Doch in einem schwachen Moment ganz zu Anfang seiner Karriere, nach etlichen Gläsern synthetischen Whiskys, hatte er Andy gestanden, dass es ihm im Grunde gar nicht um die Erkenntnis ging. Sein Ziel war es, Wissenschaftsminister zu werden. Und es war klar, dass dieser zweitwichtigste Posten in der United Galaxy Alliance (UGA) demjenigen so gut wie gehörte, der die Weltformel fand.
Andy war ein Tüftler. Für ihn war der Gedanke, womöglich zum Wissenschaftsminister ernannt zu werden, entsetzlich. Aber er wollte nicht, dass Dillitzer es wurde. Und die Suche nach der Weltformel faszinierte ihn, er sass während langer Raumflüge oft auf der Kommandobrücke und rechnete das Problem durch. Aber auch er war in letzter Zeit nicht wirklich weitergekommen, und so hatte er sich auf die Weiterentwicklung des Photonentunnels konzentriert. Viele Jahre lang war dieser Tunnel nur zur schnellen übermittlung von Nachrichten benutzt worden, doch Andy hatte sich vor kurzem eine Methode patentieren lassen, wie man damit auch durch Zeit und Raum reisen konnte. Sicher und bequem funktioniert das noch nicht, der neue Tunnel war nicht mal in der Beta-Test-Phase. Aber das hatte Dillitzer nicht daran gehindert, ihn prompt auch in sein Schiff einbauen zu lassen, sobald er von dem Patent erfahren hatte.
"Warum lassen Sie Ihre Kiste nicht mal verschrotten?" fragte Dillitzer. "Sie ist doch sowieso längst veraltet." Meinte der etwa die Magellanus? Beleidigt legte Andy eine Hand auf den geschwungenen Rumpf seines Schiffes. Er allein hatte das Recht, über sie zu meckern. Gut, sie war nur ein Prototyp, die Experimentalversion eines Schiffes, das vielleicht später einmal in Serie gefertigt werden würde.
Und nach zahllosen Reparaturen und Konstruktionsänderungen sah sie ziemlich zusammengestückelt aus.
Aber er hatte sie selbst mit entwickelt. Vor einem Jahr hatte sich die Flotte entschieden, ihm die Magellanus zur freien Verfügung zu stellen, damit er sie über einen längeren Zeitraum testen konnte.
"Längst veraltet? Was meinen Sie damit? Sie ist das Neuste und Schnellste, was es gibt!" Dillitzer lächelte überlegen. "Wenn Sie sehen wollen, was Geschwindigkeit heisst, dann kommen Sie mal um 10.34.00 Galaxy Standard Time her, zum Ereignis des Jahres!" "Wieso? Was ist denn da los? Ereignis des Jahres...?" "Werden Sie schon sehen. Gehen Sie einfach zur Abwechslung mal ins galaxy.wide.web. Alle wichtigen Medien berichten schon darüber." Was der Kerl wohl meinte? Aber egal. Andy war froh, dass Dillitzer endlich weg war und er in Ruhe am Antrieb seines Schiffs weiterarbeiten konnte.
Als er das Problem behoben hatte und sich mit einem Glas White Dwarf auf der Kommandobrücke entspannte, wanderten seine Gedanken wieder zu seinem Photonentunnel. Wenn er in den nächsten Tagen konzentriert daran arbeitete, konnte er vielleicht die neuen Funktionen fertigbekommen. Aber es kam nicht in Frage, sie hier in der Gegend von Alpha Centauri zu testen, jenem Sternsystem, in dessen Umlaufbahn sich die Raumstation Alpuri befand. Wenn Dillitzer davon Wind bekam, übernahm der Negg diese Idee auch noch. Nein, es war wohl besser, er flog mit der Magellanus zu einem der Nachbarsterne.
Es gab da eine kleine, gelbe Sonne mit einem Schwarm recht netter Planeten, die sich für seine Experimente blendend eignete. Ja, die Erde. Er war lange nicht mehr dort gewesen. Die Erde war genau das richtige dafür.

Sonntag abend. Schon. Und Jan hatte immer noch keinen Durchblick! Eigentlich war es ja auch eine Zumutung, Jugendliche mit so abstrakten Dingen wie Relativitätstheorie zu quälen. Er hatte seinen Vater oft sagen hören, dass er das selber auch nie kapiert hatte. Aber für den war das ja auch kein Problem. Er hatte einen guten Job in der Verwaltung eines Konzerns und hatte schon seit Jahrzehnten keine Prüfung mehr schreiben müssen.
Jan warf sich wieder einmal aufs Bett und starrte an die Decke. Als Miri durch die Tür schlüpfte, war er so niedergeschlagen, dass er nicht einmal den Kopf hob.
"Tena koe, e tama", flüsterte Miri.
Inzwischen wusste Jan, dass das auf Maori eine Begrüssung war. Manchmal war es schon etwas anstrengend, dass Miri so für Neuseeland schwärmte. Aber das war immer noch besser als ihre Taoismus-Phase vor zwei Jahren, als sie alle mit ihrem Gerede über asiatischer Philosophie genervt hatte. Sie hatte ihre Eltern sogar dazu breitgeschlagen, die Wohnzimmermöbel nach Feng Shui-Prinzipien aufzustellen. Wenn Miri etwas wollte, konnte sie sehr hartnäckig sein.
"Na, wie steht's? Morgen zeigst du's ihnen, was?" Morgen war die Physikarbeit. Die entscheidende Physikarbeit, die er nicht verhauen durfte. Auf gar keinen Fall!
"Ich glaube, ich habe jetzt keine Lust, darüber zu reden", sagte Jan.
"Okay. Hast du Lust, schnell noch im 'Dostojewski' was trinken zu gehen? Wenn du jetzt noch weiterpaukst, kriegst du doch nichts mehr in den Kopf rein." "Stimmt. Ja, ist vielleicht eine ganz gute Idee." Jan setzte sich auf. Er hoffte, dass sie wenigstens niemand aus seiner Klasse treffen würden. Die sah er morgen noch früh genug.
Der Weg zum 'Dostojewski' führte durch den Stadtpark. Beleuchtung gab es hier keine, deswegen gingen nachts auch wenige Leute hier entlang. Aber Miri kramte aus ihrem schwarzen Lederrucksack, ohne den sie nie irgendwohin ging, eine Taschenlampe heraus. Der runde Lichtfleck zeichnete sich vor ihren Füssen auf dem Schotterweg ab.
"Finde ich gut, dass sie endlich mal eine Laterne hier aufgestellt haben", sagte Miri.
"Was? Quatsch, hier gibt's keine Lampen." "Da vorne ist aber ein Licht. Sieht ein bisschen komisch aus. Hast du eine Ahnung, was das sein könnte?" Jan blickte auf. Links von ihnen, kaum fünf Meter entfernt, war ein dunkel violetter Schein. Ja, das sah seltsam aus. Und zwar nicht nur ein bisschen. "Wie Schwarzlicht in einer Disco." Er richtete seine Taschenlampe auf das Licht - und sah nur Büsche und Bäume. Doch kaum hatte er die Lampe zurück auf den Weg gerichtet, war das violette Licht wieder da. Nach und nach wurde es dunkelblau. Dann immer heller...
"Gehen wir mal hin", schlug Miri vor. Sie gingen ein paar Schritte...
... und auf einmal fühlte Jan, wie sein Magen einen Satz machte. Ein dunkler Wirbel, der ihn erfasste, blaues Licht, das seinen Augen weh tat. Er fühlte keinen Boden mehr unter seinen Füssen! Jan stiess einen Schrei aus und hörte, wie seine Stimme von einer Wand wiederhallte. Es klang, als sei er nicht mehr im Park, sondern in einem Zimmer! Einem Zimmer, in dem jemand ganz entsetzlich fluchte. Eine Männerstimme. Jan verstand nur die Hälfte. Er fragte sich, warum er plötzlich auf dem Boden lag. Wo war Miri? War ihr etwas passiert?
Allmählich wurde es wieder hell um ihn. Verstört blickte sich Jan um.
Er war tatsächlich in einem Zimmer, mit grauen Wänden und einer Tür. Vor ihm stand ein Mann in einem silbergrauen Overall und starrte ihn hilflos an. "Es tut mir schrecklich Leid", sagte er. "Eigentlich wollte ich ein Kaninchen. Oder wie man diese Biester nennt. Du weisst schon, die mit den seltsamen Ohren. Ich muss mich bei den Koordinaten vertippt haben." Jan starrte ihn einfach nur an. Dann sah er sich nach Miri um. Sie sass neben ihm und machte ebenfalls grosse Augen. "Wo ist der Park?" fragte sie Jan. "Eben waren wir noch im Park..." "Gleich seid ihr wieder im Park", sagte der Mann und tippte wie wild auf eine kleine Konsole an seinem Handgelenk ein. "O nein... die Koordinaten... Gigashit! Nicht gespeichert... und jetzt ist das Ding auch noch abgestürzt..." Jan stand auf und klopfte sich den Staub ab. Allmählich wurde er neugierig. "Haben Sie uns entführt oder sowas?" Jetzt wurde der Mann tatsächlich rot. "Nicht wirklich. Moment noch, ihr seid gleich wieder daheim.
Moment... tork, wieso funktioniert das nicht..." "Ich würde schon ganz gerne wissen, wo wir eigentlich sind", sagte Miri energisch. "He, ist das ein Problem oder was?" Seufzend liess der Mann die Konsole sinken. Jan musterte ihn interessiert. Er war nur ein bisschen grösser als er selbst, hatte lustige braune Augen und rotbraune Haare, die aussahen, als hätten sie schon eine Weile keinen Friseur mehr gesehen. Auf seinem Overall war ein seltsames Abzeichen.
Vielleicht waren sie versehentlich in ein geheimes Militärexperiment hineingeraten? Aber nach Militär sah der Typ nicht gerade aus...
"Es ist alles meine Schuld", sagte der Fremde. "Ich hätte meinen weiterentwickelten Photonentunnel irgendwo anders testen sollen. In einer abgelegeneren Gegend." "Ja, aber wo sind wir hier eigentlich?" "äh, in einem Raumschiff. Meinem Raumschiff. Der Magellanus. Sie liegt im Moment in einer Umlaufbahn um die Erde. Ach ja, und ihr seid im 23. Jahrhundert." "Cool", sagte Jan. Nicht, weil er überzeugt war. Sondern weil man auf so eine hirnrissige Behauptung einfach etwas Witziges sagen musste.
"Das glaubt uns daheim kein Schwein", seufzte Miri. "Und ich bin noch nicht ganz sicher, dass ich es glaube. Hier sieht es gar nicht aus wie in einem Raumschiff." Der Mann lächelte. "Das hier ist nur die Kabine, in der ich manchmal ein bisschen experimentiere.
Hier geht's zum Cockpit... Ach ja, ich bin übrigens Andy Zero. Captain Andy Zero." Jan und Miri folgten ihm neugierig, denn es hatte sich nicht so angehört, als würde der Mann scherzen.
Die Tür wich vor ihnen zurück - und ein paar Atemzüge später standen sie in der Mitte eines grossen Raumes. Sieht immer noch nicht so aus wie bei den Raumschiffen im Film, dachte Jan. Jedenfalls nicht so geleckt sauber. Eher wie eine Studentenbude. Verpackungen, in denen Lebensmittel gewesen sein mochten, blauglänzende Scheiben, die wahrscheinlich Datenträger waren, eine Hand voll kleiner Spiegelwürfel, eine Uniformjacke, Geräte, Ausdrucke, eigenartig geformte Werkzeuge, alles lag wild durcheinander herum. Anderes brachte Jan zum Staunen: Da waren Displays, die im Raum schwebten, Konsolen mit Kontakten und Anzeigen, ein silberner Helm und im Zentrum mehrere Bildschirme, auf denen Sterne glitzerten.
Während Jan und Miri wie erstarrt im Türrahmen standen, räumte der junge Captain einen der vier Sessel frei, die im Raum verteilt waren, und setzte sich mit einem Aufseufzen. "Das war wirklich high deff, dass ich euch versehentlich hergeholt habe. Die werden mich degradieren, wenn sie davon erfahren!" "Wovon? Von uns?" fragte Jan, der immer neugieriger wurde.
Beunruhigt blickte der Captain sie an. "Ihr dürft niemandem davon erzählen - aber wirklich niemandem!
Vor allem Dillitzer darf auf gar keinen Fall Wind davon kriegen... der Mann ist wirklich minus, ein echter Negg." Wer wohl Dillitzer war? Und was zum Geier war ein Negg? "Ich verstehe nur die Hälfte", beklagte sich Jan. "Versuchen Sie einfach mal so zu reden, als wären Sie in einem historischen Film." "Ich versuch's", versprach Andy Zero verlegen.
Miri meldete sich zu Wort: "Okay, und jetzt bringen Sie uns zurück, ja?" Jan ahnte, warum sie zurück wollte: Sie war morgen mit Heike und Birgit zu einem Kinoabend verabredet.
Schnell zog Jan sie beiseite. "Aber das kannst du doch nicht bringen!", zischte er. "Sowas wie hier erleben wir nie wieder! Diesen blöden Film kannst du dir doch auch ein andermal anschauen." Miri dachte nach - und an ihrem Gesichtsausdruck sah Jan, dass ihre Abenteuerlust die Oberhand gewann.
"Du hast recht. Vielleicht zeigt er uns ein paar andere Planeten und Sterne. Das wäre wirklich spannend. Aber dann soll er uns mit seiner Zeitmaschine zu genau diesem Sonntagabend zurückbringen - runterbeamen oder was auch immer." Der Captain hatte mitgehört und räusperte sich. "äh, ich fürchte, da gibt es ein kleines Problem, Scouts. Ich kann euch zwar zurückbringen, aber da ich die genauen Koordinaten nicht mehr habe, könntet ihr versehentlich zwei, drei Jahre früher oder später ankommen. Tut mir leid. Hoffe, das macht euch nichts aus." Jan war entsetzt. "Aber morgen ist meine Physik-Klausur! Wenn ich nicht komme, denken die, ich habe gekniffen!" "Was ist eine Physik-Klausur?" fragte der junge Captain interessiert.
"Eine Prüfung. Eine sehr wichtige." Doch dann sah Jan einen plötzlichen Hoffnungsschimmer. "Sie verstehen etwas von Physik, oder?" "Machst du Witze? Ich habe Astrophysik studiert! Ausserdem habe ich mir in den letzten Jahren einen Namen als Forscher gemacht. Aber ihr könnt mich trotzdem Duzen." "Vielleicht könnten Sie... könntest du... mir ein bisschen was erklären..." Jan wusste nicht, wie er es ausdrücken sollte. "Einstein und so... diese ganzen Theorien." "Du meinst die Relativitätstheorie." Andy Zero lachte; es war ein sympathisches Lachen, fand Jan.
"Keine Ahnung, ob ich dir so was erklären könnte. Ich bin nun mal kein Lehntutor." "Aber Sie können es versuchen." Jan war noch nicht bereit, locker zu lassen.
"Na gut. Wenn ihr mitkommt, kriegt ihr ganz von selbst eine Menge mit, schätze ich." "Mitkommen wohin?" fragte Miri skeptisch und klammerte sich an ihren Lederrucksack, der immer noch über ihrer Schulter hing.
"Auf meine Forschungsflüge. Ich habe eine Formel aufgestellt und versuche gerade, sie durch Daten zu bestätigen. Also bin ich viel im Weltall unterwegs, um sie zu sammeln. Und jetzt mit dem weiterentwickelten Photonentunnel habe ich eine Menge neuer Möglichkeiten. Neulich war ich sogar bei einem Pulsar, das ist der Rest eines toten Sterns, der sehr schnell rotiert." Der Captain sah sie nachdenklich an. "Ich könnte ganz gut ein bisschen Hilfe gebrauchen. Die Flotte hat keinen Copiloten für mich gehabt. Das heisst, ich fliege im Moment alleine. Ganz schön öde und anstrengend, kann ich euch sagen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Dillitzer vier Leute hat. Vier!" Jan fühlte sich immer noch elend. "Aber diese verdammte Physikarbeit am Montag..." "Wenn ich eine Weile mit dem Tunnel experimentiert und die Sache mit dem Rechner durchgecruncht habe, schaffe ich es vielleicht, die Koordinaten zu rekonstruieren", sagte Andy Zero und verzog das Gesicht, als er merkte, dass ihm wieder ein neuer Ausdruck herausgerutscht war. "Es ist also noch nicht alles verloren. Also, was ist, Scouts, wollt ihr gleich zurück - oder kommt ihr erst mal mit?" Jan und Miri sahen sich an. Und nickten.
"Wir kommen mit", sagte Jan und versuchte, seine Stimme fest klingen zu lassen. In seinem Bauch war ein seltsames Gefühl. Eine Mischung aus Angst und Erwartung. Und das war meilenweit besser als das, was er noch vor einer Stunde - oder eher, vor zweihundert Jahren - gefühlt hatte.



Auszug aus Kapitel 10

.................In diesem Moment bemerkten Jan und Miri, dass etwas gegen die Schleusentür pochte. Es klang nicht, als ob jemand anklopfte - sondern eher, als ob jemand wieder und wieder einen Ball dagegenwarf. "Was ist das denn?" fragte Jan, aber Andy winkte ab. "Mit etwas Glück bleibt uns erspart, dass wir uns auch noch damit rumärgern müssen. Geht ihr bitte mal zur Schleusentür und passt auf, dass niemand reinkommt?" "Klar, machen wir." Sie gingen nach hinten und lehnten sich gegenüber der Schleuse an die Wand. Das Pochen hatte nicht aufgehört.
"Vielleicht ein nerviger Mechaniker", vermutete Jan - und schrak zusammen. Denn gerade kam etwas durch die verschlossene Schleuse geflogen. Eine Art hellgrauer Ball, halb so gross wie ein Mensch.
"He!" schrie Miri und versuchte, nach dem Ding zu greifen. "Stop!" "Bittebittebittebitte... mitnehmen.... bittebitte..." Nein, Jan hatte sich nicht verhört: Das Ding sprach. Es war kein Ball, sondern eine Art Lebewesen. "Geh nicht zu nah ran", riet er Miri.
"Vielleicht beisst es." Angelockt von all dem Lärm kam Andy Richtung Schleuse geeilt. Er funkelte den grauen Ball an. "Fuzzy! Du schon wieder! Habe ich dir nicht schon tausendmal gesagt, dass ich dich nicht mitnehmen kann?" "Bittebitte..." wimmerte der Ball. Jetzt kam Jan dazu, ihn genauer zu betrachten. Auf den ersten Blick hatte es gewirkt, als habe der kleine Ausserirdische ein Fell, doch wenn man näher hinschaute, sah man, dass er einfach irgendwie unscharf und verschwommen war.
Seufzend wandte sich Andy an Jan und Miri. "Das ist ein Lebewesen von der Welt, die sie Paulis Planet getauft haben. Ein Expeditionsteam hat es vor ein paar Jahren mitgebracht. Seither sucht das deffige Vieh jemanden, der es zu seinem Heimatplaneten zurücktransportiert." "Können wir das nicht machen?" Miri hatte wieder diesen entzückten Blick.
Kein Zweifel, sie findet das Ding süss, dachte Jan.
"Geht nicht, unser Ziel liegt genau in der Gegenrichtung. Und ich brauche diese Daten unbedingt." Mit strengem Blick fixierte Andy den Ausserdischen. "Du verschwindest jetzt, Fuzzy, hast du gehört? Ich werde schauen, was ich für dich tun kann. Aber im Moment können wir dich an Bord nicht gebrauchen." "Wie hat er es eigentlich geschafft, durch die Schleuse zu kommen?" fragte Jan. "Ich habe genau hingeschaut - die Tür war zu!" "Ach, das. Es hat uns auch sehr überrascht, dass die Bewohner von Paulis Planet Quanteneigenschaften haben. Sie verhalten sich sozusagen wie überdimensionale Elementarteilchen." Jan lagen eine Menge Fragen auf der Zunge, aber Andy redete schon weiter.
"Stell dir eine Kugel vor, die vor einem kleinen Hügel liegt. Hätte sie genug Bewegungsenergie, könnte sie darüberrollen. Hat sie in diesem Fall aber nicht. Trotzdem kann's sein, dass diese Kugel irgendwann auf der anderen Seite des Hügels auftaucht. Sie hat sich durch ihn hindurchgetunnelt! Frizzy, was? Allerdings hat sie dazu viele vergebliche Versuche gebraucht, weil die Wahrscheinlichkeit, dass sie es schafft, sehr gering war."



"Das ist unmöglich", sagte Miri. "Dann könnten Menschen doch auch durch Wände gehen. Man müsste nur lange genug dagegenrennen!" Andy grinste. "Dabei würdest du dir nur eine Gehirnerschütterung holen. Sowas geht nur in der Welt der Elementarteilchen, wo die Quantengesetze herrschen. In unserer Welt wirken sie sich nicht aus. Elektronen können tunneln - können also Grenzen überwinden, obwohl es ihre Energie gar nicht erlaubt. Sie können sich durch die Unschärferelation kleine Energiemengen 'leihen'. Menschen nicht." "Ich denke, Energie kann man nicht einfach so aus dem Nichts machen." Miri war empört.
"Kleine Mengen schon. Und auch nur kurz. Wenn man ein Teilchen ist." Jan blickte sich um. Der graue Ball war verschwunden. "He, Andy, Fuzzy ist weg! Vielleicht hat er sich wieder nach draussen gebohrt..." "Getunnelt meinst du. Ich fürchte nicht. Er ist furchtbar hartnäckig und belästigt alle Astronauten auf Alpuri. Es wäre sehr nett, wenn ihr den kleinen Simplo suchen und hinauswerfen würdet." "Wieso flimmert er eigentlich so komisch?" fragte Jan. "Ist das auch eine Quanteneigenschaft?"
"Allerdings. Weisst du noch, die Unschärferelation? Du bekommst einfach kein scharfes Bild!"
Miri rebellierte. "Ich glaube ja eher, dass das ein messtechnisches Problem ist!"
"Nein, es ist eine Eigenschaft", beharrte Andy. "Quantenmechanische Teilchen lassen sich eben nicht in ein klassisches Korsett zwängen. Man kann sie weder greifen noch begreifen und schon gar nicht klar beobachten."
"Wie auch immer, wir gehen jetzt Fuzzy suchen", kündigte Jan an.
"Prima. Lasst euch am besten durch Pi helfen", meinte Andy und ging ins Cockpit zurück.
"Keine schlechte Idee", sagte Miri und blickte unwillkürlich nach oben. "Pi, wo ist Fuzzy gerade?"
"Die Wahrscheinlichkeit, dass er im Cockpit ist, beträgt 30 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass er im Maschinenraum ist, beträgt 40 Prozent. Mit jeweils 10 Prozent Wahrscheinlichkeit ist er im Maschinenraum, den Kabinen oder dem Experimentierraum."
"Kann man von dir auch eine vernünftige Antwort bekommen?" beschwerte sich Miri. "Pi, warum sagst du uns nicht einfach, wo das Vieh ist?"
Jan rollte mit den Augen. Hatte Miri überhaupt nichts mitgekriegt? Das hatte Andy ihnen doch schon erklärt!
"Das geht nicht", sagte Pi mit Verwunderung in der Bluessängerinnen-Stimme. "Er ist überall zugleich, im Moment überlagern sich seine Möglichkeiten. Erst wenn jemand, ihr zum Beispiel, ihn beobachtet, dann legt sich seine Position fest."
"Mir ist die normale Physik lieber", stellte Miri trotzig fest. "Da tritt irgendein Effekt auf, den kann man messen, und damit hat sich's. Schwarz oder Weiss, ja oder nein."
"Ist schon in Ordnung", sagte Jan. Miri hatte eben nicht so viel Phantasie wie er. Normalerweise hatte das Vorteile. Jan bekam seit seiner Kindheit vorgeworfen, er sei einfach ein Träumer. "Ich gehe jetzt zum Maschinenraum. Dort ist er mit der grössten Wahrscheinlichkeit."
Doch in diesem Moment meldete sich schon Andy über die Lautsprecher im Gang. "Ihr könnt zurückkommen, Scouts", sagte er und seufzte. "Fuzzy ist gerade im Cockpit aufgetaucht."
"Da war er also!" murmelte Miri und setzte sich in Bewegung.
Doch Jan blieb nachdenklich. "Vielleicht war er nur deswegen dort, weil Andy zuerst hingeschaut hat", murmelte er. "Vielleicht hätten wir ihn im Maschinenraum gefunden..."
Im Cockpit trieb Fuzzy sie beinahe zum Wahnsinn. Er tauchte unversehens mal hier, mal dort auf, wischte umher, ohne dass sie ihn bei einer Bewegung beobachten konnten. "Beachtet ihn einfach nicht - wahrscheinlich geht er dann irgendwann von selbst", empfahl ihnen Andy.
Das fiel Jan nicht schwer. Er dachte immer noch darüber nach, was Andy und Pi ihnen über die Quantenmechanik erzählt hatte. über die Möglichkeiten, die alle gleichzeitig existierten. Andy schien zu spüren, was ihn beschäftigte, denn als sie ein paar Minuten im Cockpit nebeneinandergesessen hatten, sagte er: "Hast du schon mal von Schrödinger und seinem Kätzchen gehört?"
"Vom Hörensagen", sagte Jan und befragte schnell seine Datenbrille.


    Erwin Schrödinger (1887-1961) war wie Heisenberg, Bohr und Pauli Entwickler der Quantentheorie. Mit der nach ihm benannten Gleichung konnte man endlich die Energiewerte der Atome richtig berechnen. Und doch stand er der Quantenmechanik genauso skeptisch gegenüber wie Einstein. Um deutlich zu machen, wie verrückt sie ist, dachte er sich ein Gedankenexperiment aus, das als "Schrödingers Katze" in die Geschichte einging. Eine Katze ist in einer Kiste eingesperrt. In dieser Kiste befindet sich ausserdem eine Kapsel giftigen Gases, über der ein Hammer schwebt. Dieser Hammer wird ausgelöst, sobald ein Detektor den Zerfall eines radioaktiven Elements registriert hat. Da man den Zerfall des radioaktiven Elements nur über Wahrscheinlichkeiten beschreiben kann, lässt sich nicht genau sagen, ob und wann der radioaktive Zerfall tatsächlich stattgefunden hat. Demnach kann man auch nicht genau bestimmen, wann der Hammer ausgelöst, die Giftkapsel zerbrochen und das Gas die Katze getötet hat. Erst wenn jemand im Raum nachschaut, entscheidet sich das System für eine Möglichkeit - die Katze ist entweder tot oder lebendig. Schrödinger behauptete, dass die korrekte quantenmechanische Beschreibung der Katze in der ungeöffneten Kiste aus einem gemischten Zustand, tot und lebendig gleichzeitig, besteht.


Jan lachte. "Das ist nun wirklich Blödsinn. Halb tot und halb lebendig, das gibt's nicht."
"In unserer Welt der grossen Dinge nicht - das zeigt das Beispiel ja", sagte Andy. "Aber im Atom ist so was in der Art sehr wohl möglich. Wisst ihr, was Niels Bohr mal gesagt hat? Wer über die Quantentheorie nicht schockiert ist, der hat sie nicht verstanden."
"Das beruhigt mich", stöhnte Jan. "Obwohl ich so langsam das Gefühl habe, dass es mir langsam klarer wird." Er schaute sich nach Fuzzy um. Das Quantenwesen war verschwunden. "Pi, ist Fuzzy noch innerhalb des Schiffs?"
"Anscheinend nicht", berichtete Pi. "Die Wahrscheinlichkeit, dass er sich wieder draussen in der Werft befindet, beträgt 99,99998 Prozent."
"Das deffige Vieh gehört wirklich in den Teilchenzoo", schimpfte Andy, während er die Magellanus aus der Werft heraus und wieder in den Raum manövrierte. Ein paar Minuten später lagen sie wieder auf einer normalen Dockposition. "Jetzt kann ich endlich los und auskundschaften, was Dillitzer über euch und meine Pläne weiss. Am besten schaue ich im Café Andromeda vorbei. Und dann können wir hoffentlich endlich zum Eisplaneten losfliegen."